Videospiele als Service sind die Zukunft

Dieser Beitrag ist ein Gastartikel für die neueste Ausgabe des GAIN Magazins

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Ein Blockbuster Videospiel zu bewerben war eine relativ simple Angelegenheit. Es werden Werbungen im Fernsehen, in Kinos oder auf Gaming Internetseiten geschalten und schon war der neueste jährliche Ableger der Franchise in aller Munde. Zwar ist diese Strategie nicht gänzlich ineffektiv, sie verliert jedoch mit der immer größerwerdenden Menge an Videospieltiteln auf dem Markt, der Verbreitung von Ad-Blockern und dem Boom von Platformen wie Twitch an ihrer Wirkung wenn es um die Meinungsbildung von Videospielern geht. Kein Wunder also wenn sich Publisher und Entwickler nach neuen Formen der Distribution ihrer Produkte umsehen, die nicht nur Kosteneffizienter sind, sondern auch ihr Produkt länger relevant halten. Hohe Vorbestellerzahlen und massive „Day-One“ Verkäufe scheinen somit der Langlebigkeit eines Videospiels zu weichen. So hat ein kürzlich erschienener Finanzbericht des Entwicklers CD Projekt Red gezeigt, dass sich „The Witcher 3“ im ersten Quartal 2017 besser verkauft hat, als im selben Zeitraum des Vorjahres1.

Das Reboot der beliebten Hitman-Serie aus 2016 von Entwicklerstudio IO Interactive, unter dem Schirm der japanischen Publishergröße Square Enix hat genau diesen Trend der Langlebigkeit, hin zum Videospiel als Service perfekt umgesetzt. Mit ihrem Modell einer episodischen Veröffentlichung hat Hitman einen neuen Weg für Singleplayer Spiele eingeschlagen. Dennoch hat Square Enix im Mai angekündigt, dass sie nach Käufern für das Studio IO Interactive suchen und sich von ihnen trennen werden. Aus Finanzberichten von Square Enix ging demnach hervor, dass ihr Geschäftsjahr 2017 dank Final Fantasy XV und Rise of the Tomb Raider (PS4) neue Rekorde gebrochen hat2. Hitman wurde nur leider nicht erwähnt. Das ist auch kein Wunder wenn man bedenkt, dass Square Enix ein Publisher ist, der mit Budgets in den hohen Millionenzahlen rechnet. So eine Firma muss ihre Investierungen schnell wieder einnehmen. Es zählen also traditionell die hohen Vorbestellerzahlen und die massiven „Day-One“ Verkäufe. Wenn Hitman hier nicht punkten konnte, ist es nicht verrückt, das der Publisher sich von IO Interactive trennen musste. Es ist aber schade, das Square Enix hiermit eine revolutionäre und sehr clevere Spieleschmiede verliert.

Revitalisierung der Hitman-Serie

In Hitman übernimmt der Spieler die Kontrolle eines stoischen Auftragskillers, der seine Ziele in Schauplätzen in allen Ländern der Erde kaltblütig, kreativ und möglichst unentdeckt ermorden muss. Mit Hitmans traditionell etwas klobiger Steuerung und schwachen Waffen, war Hitman niemals ein reines Action-Spiel. Es galt unter Fans eher als eine Art Puzzle-Adventure in einer lebendigen Spielwelt. Es lag an dem Spieler herauszufinden wie das Uhrwerk des jeweiligen Levels tickt um den effizientesten Mord auszuführen. IO Interactive hat mit seinem episodischen Distributionsmodell diesen Kern des Gameplays ideal untermalen können und so Spieler langfristig bei Stange halten können. Anstelle einer zeitgleichen Veröffentlichung aller Levels, erschienen nicht nur alle paar Monate neue, riesige Inhalte, sondern die existierenden Spielwelten wurden regelmäßig mit einer Vielzahl von Herausforderungen oder Missionen aufgefrischt.

Damit dies funktioniert, hat IO Interactive Levels kreiert, die sich zu erkunden lohnen. Es gibt die üblichen Hauptmissionen, welche die Geschichte des Spieles vorantreiben. Diese Missionen dienen als Basislevel des Schwierigkeitsgrades. Der Spieler kann die Welt in seinem eigenen Tempo erkunden und kann von In-Game Tipps so viel oder so wenig an der Hand gehalten werden wie er möchte. Diese Hauptmissionen sind also eine Form von Training für den Spieler. Man lernt so organisch das Level Layout und die verfügbaren Werkzeuge zur Manipulation seiner Umgebung kennen. Fühlt man sich dann komfortabel in seiner Rolle als Auftragskiller, erlaubt Hitman seinen Spielern dieses erlernte Wissen über das jeweilige Level tiefer anzuwenden. Anstelle direkt das nächste Level zu starten, erscheinen wöchentlich neue Herausforderungen, die schwerer zu meistern sind als die anfängliche Hauptmission. Dieses Design ist in keinem anderen Videospiel zu finden und erlaubt für eine ungemeine Tiefe des Gameplays. Als Beispiel nehmen wir die sogenannten „Elusive Targets“ in Hitman. „Elusive Targets“ waren ein zeitlich begrenzter Missionstyp, die alle paar Wochen erschienen. Dem Spieler wurden hier neue Ziele in einem bekannten Level präsentiert, die es auszuschalten galt. Während man in den Hauptmissionen sein Ziel auf der Karte sehen konnte und auch speichern und laden konnte wie man wollte, wurden diese Funktionen in den „Elusive Targets“ gestrichen. Auch bedeutete ein Fehlschlag einer solchen Mission ein permanentes Ende. Die Mission war dann nicht mehr wiederholbar. Dies führte zu einer großen Herausforderung, die alles gelernte Wissen in einer spannenden Mission zusammenführte. Die Tiefe des Spielerwissens wurde so auf eine einzigartige Weise getestet und hat das Spielgefühl eines bereits bekannten Levels fundamental geändert. IO Interactive hat so beweisen können, dass ein organischer Service für ein Singleplayer Spiel nicht nur funktionieren, sondern das er das Spielgefühl verbessern kann.

Ohne solche regelmäßigen Updates und Herausforderungen wären die Hauptmissionen in Hitman zwar noch immer interessant, würden aber schnell in Vergessenheit geraten. Durch den Gebrauch dieser Hauptmissionen als lediglich einen Startpunkt für schwerere Versionen dieser Levels, wurde stets ein Ziel geboten auf das es sich hinzuarbeiten lohnte.

Hitman war so eine sehr lange Zeit relevant auf Streaming Seiten wie Twitch und animierte Spieler immer kreativer mit ihrem erlerntem Wissen zu werden. Durch den Gebrauch dieses neuartigen, episodischen Distributionsmodell wurde ein Singleplayer Spiel plötzlich zu einem sozialen Ereignis und eine Community, die ihr gelerntes Wissen austauschen wollte, konnte sich formen. Das ist etwas das kaum ein Singleplayer Spiel schafft. IO Interactives Modell ist etwas, dass wir als Spieler in der Zukunft weit öfters sehen werden.

Spielerbindung als höchtes Ziel

(Massive) Multiplayer-Online Spiele kennen dieses Distributionsmodell bereits seit Jahren. Regelmäßige Updates in z.B. World of Warcraft, Overwatch oder Destiny sind Teil des Spielgefühls und sorgen dafür, dass man stets einen Grund hat zurückzukehren in das jeweilige Spiel. Es gibt Daily Quests, Weekly Quests oder saisonale Events die man als Spieler erleben will um an bestimmte Gegenstände zu kommen oder um einfach nur ein Teil der Community zu sein. Das diese Strategie aber auch in Singleplayer Spielen funktionieren kann, ist neu und läutet einen Paradigmenwechsel für Spieler, Publisher und Entwickler ein.

Ubisoft ist ein Publisher der sich in den vergangen Jahren auf diesen Wechsel hin zu Spielen als Service eingestellt hat. Einem Interview aus Mai 2017 mit Ubisofts CEO Yves Guillemot zufolge hat sich die Summe aller registrierten Spieler der Tom Clancy Serie mit inzwischen 44 Millionen Spielern in den letzten 18 Monaten um 150% gesteigert3. Für eine Franchise, die seit beinahe 20 Jahren existiert ist das eine beträchtliche Leistung. Auch an Ubisofts Spieleportfolio sieht man wie wichtig, die Spielerbindung an eine Franchise inzwischen ist. Die jährlichen Veröffentlichungen ihrer Blockbuster-Titel wurde z.B. mit Assassins Creed in 2016 erstmalig ausgesetzt. Konzentriert wurde sich hingegen auf The Division, Steep, Rainbow Six Siege und Ghost Recon: Wildlands, die sich allesamt auf den Aufbau einer Community verlassen.

Damit soll natürlich (noch?) nicht gesagt sein, dass traditionelle Offline-Singleplayer Spiele vom aussterben bedroht sind. Allerdings kann man sich mal vor Augen führen, was Hitmans Modell vor dem Hintergrund von Ubisofts Zahlen über die Spielerbindung für solche Franchises bedeuten kann.

Final Fantasy XV ist laut Square Enix das am schnellsten verkaufte Spiel in der Geschichte der Franchise. Dies ist ein großartiger Rekord für den Publisher, allerdings verschwindet der Name Final Fantasy, ebenso wie die meisten anderen Singleplayer Spiele, innerhalb kürzester Zeit wieder vom Schirm der meisten Videospieler. Jedenfalls bis der nächste Ableger erscheint und der Marketing-Rhythmus mit Werbeanzeigen in TV, Kino und Gaming-Seiten auf’s neue beginnt. Ein Spiel das 10 Jahre in Entwicklung war, macht Schlagzeilen für einen halben Monat und verschwindet – bis auf kleinere Ereignisse, wie DLCs – innerhalb von kürzester Zeit aus den Gedächtnissen der Spielergemeinschaft. Hitmans Modell hingegen bräuchte keinen neuen Ableger der Franchise. IO Interactive hatte bereits eine zweite Staffel geplant und hätte das existierende Gerüst weiter benutzen können. Das Spiel hätte auf diese Art und Weise seine Community ausbauen und die Franchise über Jahre hinweg relevant halten können. Es geht mir dabei in erster Linie nicht nur um die Qualität von Final Fantasy XV oder Hitman selbst. Vielmehr geht es mir um den Nutzen, den Spiele als Service für die Relevanz einer Franchise haben können. Als unentschlossener Käufer kann ich heute noch Twitch Streams zu Hitman finden und so eventuell zum Kauf überzeugt werden. Von Final Fantasy XV hingegen eher weniger.

Die Popularität von Spielen wie Overwatch, Hearthstone, Destiny, DotA oder League of Legends auf Twitch zeigt, dass ein großes Publikum gerne langfristig mit bestimmten Franchises interagieren möchte, solange diese relevant bleiben. Es ist für viele also nicht mehr nötig von einem Titel zum nächsten zu springen. Hitman war erst der Anfang und hat den Grundstein gelegt. Dieser Trend wird sich in Zukunft aber weiter auf Singleplayer Spiele ausbreiten. Es liegt nun an anderen herauszufinden, wie auf diesem Grundstein aufgebaut werden kann, sodass es auch für Publisher wie Square Enix finanziellen Sinn machen wird.

Eines steht für mich aber fest: Videospiele als Service sind die Zukunft.

  1. https://www.gamespot.com/articles/the-witcher-3-sold-better-in-q1-2017-than-same-per/1100-6450351/

 

 

Mein Senf zu #Nostalgie

Nach 120 Schreinen, 110 Krog-Samen und 64 genialen Stunden in Zelda: Breath of the Wild bin ich noch immer dabei meine Gedanken zu dem Spiel zu sortieren und mein Schlussfazit zu schreiben. Wenn alles gut läuft gibt es das morgen auf meinem Blog. Woran ich während meiner Spielzeit allerdings immer denken musste, waren meine ersten Erfahrungen mit Videospielen. Ich bin damit nicht allein, wenn man die Online-Diskussionen mitverfolgt.

Das Gefühl von Entdeckung und das Austauschen mit anderen Spielern, die über Geheimnisse in der Spielwelt tuscheln, bot ein Spielerlebnis, dass ich länger nicht mehr erlebt habe. Zelda: Breath of the Wild hat das Nostalgiezentrum in meinem Gehirn stark getroffen und mich an Zeiten erinnert, in denen ich einen Schulfreund anrufen musste, wenn ich nicht wusste wie es in einem bestimmten Spiel weiter geht. Jede einzelne Stunde in Hyrule bot eine neue Entdeckung oder ein neues Rätsel das es zu lösen galt. Viele Spieler in Online-Foren schreiben das der Nostalgie zu und meinen, dass das neue Zelda nur des Namen wegen zu hoch belohnt wird.

Und das kann ich verstehen, denn auch ich mag ich viele Gameplay-Elemente im neuen Zelda nicht so sehr. Auch an die Zelda Serie als Gesamtes habe ich keine große emotionale Bindung. Das originale NES Zelda finde ich zu kryptisch, Zelda II zu langweilig, A Link to the Past ist gut, der 3DS „Reboot“ allerdings besser, Ocarina of Time war mein erstes Zelda, Majoras Mask mochte ich damals nicht, Wind Waker war sehr gut, Twilight Princess ist zu vergessen, Skyward Sword war langweilig und die Mobile-Ableger interessieren mich bis auf eine Ausnahme nicht sonderlich. Dennoch konnte ich die Nostalgie in Zelda: Breath of the Wild spüren. Es war deutlich zu erkennen, dass das Spiel ein spezielles Gefühl von Entdeckung und Abenteuer erwecken wollte, dass viele Videospieler in Zeiten von Händchen haltenden Tutorials sehr vermissen. Dieses Gefühl von Nostalgie, ein Stück aus der Vergangenheit erneut erleben zu dürfen, ist stark und wirft oft jede Objektivität (wenn es das bei Videospielen überhaupt gibt) aus dem Fenster.

Nostalgie und Videospiele gehören seit Jahren fest zusammen. So sehr, dass selbst Nintendos Marketingstrategie immer wieder auf die sepia gefärbten Herzen seiner Fans abzielt. Oft habe ich das Gefühl, dass wir als Videospieler zu sehr an unseren alten Flammen festhalten. Als ob diese für immer verschwinden würden, wenn wir sie in Online-Foren nicht permanent auf ein Podest heben und sie auf Platz 1 unserer „All-Time Favorites“ setzen. Irgendwie können wir nicht loslassen und irgendwas bindet uns an unsere Shenmues, Power Stones oder sonstigen vergessenen Perlen.

Damit ist im Prinzip auch nichts verkehrt. Aufgrund dieser Verbindung von Videospiel und Nostalgie gibt es erst Spiele, die noch in der heutigen Zeit eine bestimmte Ära erwecken wollen. Shovel Knight ist ein Beispiel wie man dies erfolgreich schaffen kann. Die Kehrseite allerdings, ist zum einen der überlaufende Steam-Shop, in dem Entwickler mit wenig Mühe die Nostalgiekuh melken wollen. Zum anderen werden uns auch regelmäßig neue Teile einer bestehenden Franchise präsentiert, die uns versichern wollen, dass dieser neue Teil, tatsächlich die Qualität des Originals erreichen soll. Sonic ich schiele zu dir…

Unsere rosarote Brille in die Vergangenheit kann also der Effekt von erfolgreichem Marketing sein. Weil Nintendo sagt, sie hätten sich am Original orientiert, fühlen wir auch unterbewusst was sie damit meinten wenn wir den neuesten Ableger spielen. Aber es ist nicht das Marketing alleine, das uns beeinflusst. Es liegt an uns, denn wir sind empfänglich für solche Gefühle. Nur deshalb kann das Marketing überhaupt erfolgreich sein.

Warum wir also empfänglich sind für solche Gefühle, ist was mich in meiner Spielzeit von Zelda: BotW beschäftigt hat. Ich möchte Zelda in meinem Schlussfazit nicht aus Nostalgiegründen loben, da ich das Gefühl habe, dass das dem Spiel nicht gerecht wird. Denn auch neue Spieler können Spaß an diesem Spiel haben. Gleichzeitig kann ich dieses Gefühl aber auch nicht los lassen, denn wer von seinen nostalgischen Gefühlen los lässt, vernachlässigt die Argumente, die sein Lieblingsspiel in der Vergangenheit erst zum Liebling gemacht haben.

Also was ist mein Senf zu #Nostalgie nun? Auf der einen Seite ist es eine schöne Erinnerung oder ein schönes Gefühl an sorglosere Zeiten. Auf der eine anderen Seite aber auch ein Marketingwerkzeug, dass genau dieses Gefühl ausnutzen möchte. Es ist also schwierig abzuwägen, was was beeinflusst und wieso wir Nostalgie so stark spüren. Allerdings komme ich nach Überlegen am Ende eigentlich nur zu folgender Schlussfolgerung:

Nostalgie ist eine Erinnerung an einen Moment oder ein Gefühl, welches über Jahre bei uns geblieben ist. Kein Moment bleibt solange in unseren Erinnerungen, wenn es nicht ein bedeutsamer war. Wenn wir also an unsere Lieblingsspiele denken und sie in den Himmel loben, ist das kein lebloser Marketingeffekt. Wir loben sie weil sie gut waren und weil sie in einem Moment in unser Leben kamen, in dem wir etwas Gutes brauchten. Und auch wenn der Moment in denen wir sie brauchten mit der Zeit immer weiter nach hinten fällt, bleibt er uns in der Zukunft für immer positiv in Erinnerung.

Nostalgie ist also nichts schlimmes, keine Manipulation des Marketings. Im Gegenteil: Nostalgie ist vielmehr ein persönlicher, emotionaler Katalysator, welcher unsere Leidenschaft nur weiter vorantreibt.