Skinship: Berühre die virtuelle Welt

Habt ihr jemals in einem Videospiel mehrfach auf das Bild eines Anime-Mannes, einer Anime-Frau oder einem Pokemon geklickt bis Herzen aus deren Gesichtern geflogen sind? Wenn ja, dann wisst ihr über welche Gameplay-Mechanik ich heute schreiben möchte: Skinship. Wer noch nicht mit der Mechanik vertraut ist, der höre mich bitte an. Zwar entstammt diese Mechanik aus japanischen Dating-Sims oder Visual Novels, die oftmals tief in die klebrige Hentai-Kiste greifen. Aber das Ganze ist weniger zwielichtig als es klingt. Also eins nach dem anderen.

Was bedeutet „Skinship“?

Im Ursprung beschreibt der Begriff „Skinship“ im japanischen Intimität und Nähe zwischen einer Mutter und ihrem Kind. Über die Jahre blieb der Begriff aber nicht nur auf familiäre Beziehungen beschränkt. Der Kerngedanke ist nämlich, dass körperliche Nähe, sei es eine Umarmung, das Halten einer Hand oder ein Kuss, die Bindung zweier Menschen verstärkt. Sei die Beziehung nun auf romantischer Ebene oder nicht, ist dabei nicht relevant. Es geht vielmehr um das innere menschliche Bedürfnis sich umeinander kümmern zu wollen.

Und dann kamen Videospiele und wollten genau dieses Gefühl abstrahieren und in eine virtuelle Welt platzieren. Das geeignete Rahmenwerk um dieses abstrahierte Gefühl in ein Spiel zu packen waren Genres wie Visual Novels, otoge und eroge, die sich von ihrer Natur aus schon mit Beziehungen und Intimität befassen. Während diese Genres für den Spieler sehr passiv sind, war Skinship die Mechanik, die den Spieler tiefer mit einbeziehen sollte. In den absurdesten Fällen wird der Spieler für das wiederholte klicken auf eine bestimmte Körperstelle einer virtuellen Figur mit Währung oder Herzen belohnt, die eingesetzt werden können um seinen Charakter weiter aufzuleveln. Wie auf Tinder also!

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Kein Wunder, dass dieses Genre mit der Verbreitung von Touchscreens auf dem Nintendo DS, 3DS der Vita und Smartphones in Japan aufgeblüht ist. Endlich bestand nun auch eine Inputmethode, die der körperlichen Nähe zwischen virtuellen Figuren und dem eigenen Körper gerecht werden konnte. Endlich sind die Grenzen zwischen der virtuellen und der Realen Welt durchbrochen…. Naja ok, nicht ganz. Denn Videospiele kämpfen schon lange damit Intimität realistisch dazustellen. Egal wie gut eine Geschichte im Spiel geschrieben, egal wie ausgearbeitet ein Charakter ist oder egal wie attraktiv eine Figur designed wurde, bleibt die Verbindung zwischen Spieler und Spiel zu oberflächlich um Intimität simulieren zu können.

Auch westliche Entwickler versuchen sich nicht selten an Skinship-ähnlichen Mechaniken. Man erinnere sich an die Sex-Mechaniken in GTA oder die Quick-Time Events in God of War. Zwar hat man hier nicht buchstäblich seinen Cursor über einen virtuellen Körper gerieben, aber mit diesen Beispielen im Hinterkopf erscheint die Idee von Skinship gar nicht mehr so ein fremdes Konzept. Selbst Nintendo hat mit Fire Emblem und Pokemon diese Mechaniken in die westliche Welt geholt. Im Falle von Fire Emblem wurden die Skinship Mechaniken für den westlichen Markt sogar etwas beschnitten, was für großen Aufruhr in der Fangemeinde gesorgt hat. Es besteht also durchaus Bedarf an Mechaniken, die versuchen die Simulation von physischer Nähe in einen relevanten Kontext zu setzen.

Das Problem ist allerdings, das Skinship Mechaniken schlicht unelegant eingesetzt werden. Sie sind ein Werkzeug eines Entwicklers und manche Entwickler setzen dieses Werkzeug eben besser ein als andere. Es sind nur die schlechten Beispiele, die uns an der Nützlichkeit dieses Werkzeugs zweifeln lassen.

Skinship ist also nur für Perverse?

Nein, absolut nicht. Während die Mechaniken oft in Ü18 Inhalten eingesetzt werden, wäre das Reduzieren des Werkzeugs auf solche Beispiele zu kurzsichtig. Der große Bedarf und die positive Zustimmung der Fangemeinde eines Fire Emblems oder Pokemon zeigt, das hier mehr dahinter steckt. Wie im Ursprung des Begriffes Skinship selbst ist es auch für die Gameplay-Mechanik irrelevant, ob es sich um eine romantische Beziehung handelt oder nicht. Es geht um die Repräsentation der Befriedigung eines menschlichen Grundbedürfnisses: Die Suche nach Nähe. Wenn Videospiele versuchen dies zu simulieren, wirkt es auf Abstand vielleicht etwas merkwürdig, ist aber im Endeffekt nicht viel anders als der Versuch Grafiken möglichst realistisch darzustellen. Interaktive Welten, brauchen Interaktive Werkzeuge für Entwickler und Spieler. Wenn Skinship ein Teil hiervon ist, ist das nicht für jeden, aber möglicherweise genau das was virtuelle Welten brauchen um sich weiter zu entwickeln.

Diese Mechaniken legen nämlich die Grundlage für menschliche Interaktion in der virtuellen Realität. VR Projekte bedienen sich schon jetzt von traditionellen Videospielen. Auch soziale Räume, in denen VR-Headset Besitzer in Echtzeit mit körperlicher Repräsentation kommunizieren können, existieren bereits. Wenn Skinship Mechaniken also die Körperlichkeit des Spielers anerkennen und aus dem virtuellen Raum heraus ein Feedback hierzu geben, ist dies möglicherweise eine gute Vorlage für zukünftige VR Projekte.

Stellen wir uns mal unsere (je nach Ansichtsweise) utopische oder dystopische Zukunft vor, in der wir alle sozial verkümmern und nur noch zuhause in unseren virtuellen Räumen sitzen. Wie wird in diesem Szenario sichergestellt, dass Menschen in einem virtuellen Umfeld die Plastizität ihres Körpers wahrnehmen? Durch Skinship. Virtuelle Räume, seien sie auf einem Bildschirm oder in der virtuellen Realität werden in der Zukunft immer wichtiger. Und ebenso wie Designer eine Bildsprache für ein intuitives User-Interface gefunden haben, wird es noch nötig sein eine „Sprache“ zu finden, die unsere Körper repräsentiert.

Im Kontext von Videospielen wird oft über die Immersion gesprochen. Die Fähigkeit einer virtuellen Welt sich selbst so real darzustellen, dass wir uns in ihr verlieren. Für VR Entwickler wird es nötig sein das Gehirn auszutricksen und es Dinge fühlen zu lassen, die eventuell gar nicht da sind. So gibt es die sogenannte Redirected Touch Technik, bei der ein echtes Objekt in der virtuellen Welt widergespiegelt wird. Die visuelle und haptische Diskrepanz trickst dann den Benutzer des Headsets aus und lässt ihn glauben mehr Seiten zu spüren, als das Objekt in Wirklichkeit hat. The Void  ist ein Projekt, das dieses Konzept weiter auf die Spitze getrieben hat. Durch eine Installation eines gesamten Parkours lässt die Verschmelzung von physischen Reizen und virtueller Wahrnehmung, eine starke körperliche Präsenz im virtuellen Raum erzeugen. Wenn wir also schon die eigentliche körperliche Präsenz simulieren können (wenn auch unter sehr speziellen Bedingungen), dann liegt eine Simulation der Intimität zweier Menschen auch nicht mehr so fern.

Während Skinship Mechaniken heutzutage also in teilweise etwas fragwürdigen Settings und mit simplen Methoden ausgeführt wird, ist das Bedürfnis eine körperliche Interaktion zwischen Spieler und Spielwelt widerzuspiegeln eine sehr interessante Idee. Dem Spieler eine größere Präsenz im virtuellen Raum zu geben, kann nur vorteilig für die Immersion sein. Der zukünftigen Entwicklung sozialer Projekte in VR könnten hier ganz neue Möglichkeiten geboten werden. Skinship Mechaniken zielen darauf ab die Probleme, die Videospiele bei der Darstellung von Intimität haben, zu lösen. Sicher sind sie momentan oftmals nicht mehr als ein simpler Witz und eine kleine Spielerei. Wenn aber der Touchscreen die erste Renaissance für Skinship war, ist VR möglicherweise die nötige Revolution. Alle Mechaniken haben einmal irgendwo angefangen, ich bin gespannt zu sehen wohin sich Skinship entwickelt.

Die Wörter des Tages für Projekt August waren: adventure, seducer

Just Feel: Sex in Videospielen

Durch das kürzlich erschienene Mass Effect: Andromeda ist die Debatte um Sex und dessen Darstellung in Videospielen wieder etwas entfacht. Die Mass Effect Serie bzw. der Großteil der Spiele des Entwicklerstudios Bioware waren schon immer Videospiele, die großen Wert auf die Charakterisierung und Vermenschlichung ihrer virtuellen Figuren gelegt haben. Sie wollten erreichen, dass die Spieler eine emotionale Bindung mit ihren Charakteren aufbauen. Die persönliche Geschichte zwischen virtuellen Charakteren und dem Spieler führt dann am Ende oftmals zu körperlicher Intimität. Aber die Art und Weise wie Mass Effect und Videospiele im Allgemeinen diese Intimität behandeln, wirkt auf mich oft sehr gestelzt und steht stark im Kontrast zu der grandios ausgeführten restlichen Geschichte des jeweiligen Spieles. Aber warum ist das so?

Vorneweg gesagt, ich möchte mit diesem Text die Sex-Szenen diverser Spiele nicht herunterziehen. Sie stören mich auch nicht auf einem persönlichen Level. Im Gegenteil: Sie machen ja auch irgendwo Spaß und dienen oft als eine Gameplay-Belohnung für eine abgeschlossene Quest-Reihe. Wenn ich in Mass Effect also Sex mit einem Alien haben darf, weil ich während meiner Spielzeit immer die „richtigen“ Antworten gegeben habe ist das prima und amüsierend wenn die Szene dann in solch einem Beispiel endet:

Worauf ich mit diesem Text eher aufmerksam machen möchte, ist die Albernheit der Mechaniken und der visuellen Darstellung, die hinter Sex-Szenen in Videospielen stehen.

Videospiele sind wahnsinnig gut darin bestimmte Konzepte und Systeme in abstrakter Form darzustellen. Sie können dem Spieler eine andere Identität geben und ihn tiefer in die dargestellte Geschichte eintauchen lassen, als es in einem anderen Medium möglich wäre. Aber wenn es um Sex geht scheitern sie ständig. Meiner Meinung nach kommt dieses Scheitern unter anderem dadurch, dass Videospiele mit Sex explizit und realistisch sein wollen, anstatt das dahinterliegende Gefühl und eine gewisse Ästhetik zu abstrahieren.

Es gibt hierfür unzählige Beispiele: GTA, Fahrenheit, Heavy Rain, God of War, Duke Nukem, The Witcher usw. Alle Spiele stellen Sex in einer Art und Weise dar, die zwar amüsierend ist, allerdings Elemente wie Flirten, Verführung, Spannung, Klimax, Fürsorge und Intimität in einer Beziehung, vernachlässigen. Für diesen Text bleibe ich aber zunächst bei Mass Effect. Mass Effect im speziellen leidet nämlich unter dieser expliziten Darstellung, da die Motivationen der Charaktere und deren Beziehung zueinander weitestgehend sehr ausgereift ist und Schwarz/Weiß Denken vermeidet. Nur wenn es dann um Sex geht, verkommt diese Reife dann zu einer binären Dialog-Auswahl. Natürlich sind Zeit, Geld und Ressourcen oftmals der Grund für diese Vernachlässigung. Es ist schließlich viel simpler und für den durchschnittlichen Spieler interessanter, diesen Aufbau einer Beziehung hinter einer Loyalitäts-Mission zu verstecken, die unter anderem auch mindestens einen Kampf gegen böse Aliens beinhaltet.

Eine virtuelle Beziehung als realistisch darzustellen ist schwierig, das ist mir klar. Viele, vor allem japanische, Videospiele versuchen dem mit sogenannten „Skinship“ Spielen entgegenzuwirken. Ein bekanntes Beispiel für solche „Skinship“-Elemente, aus kürzlich vergangener Zeit, ist Fire Emblem: Fates. In Fire Emblem für den 3DS drückt der Spieler mit seinem Stylus auf dem Bildschirm um Kontakt mit seinem virtuellen Beziehungspartner zu bekommen. Ob diese Mechanik zum Ziel führt, ist für mich persönlich fraglich. Dennoch ist es ein Anfang eine Sprache zu finden, die Intimität in Videospielen ausdrücken kann. Im Vergleich zu Mass Effect besteht hier immerhin ein gewisser Grad von Betroffenheit und Integration des Spielers zu seiner virtuelle Identität.

Die Schwierigkeit Sex auf eine subtile Art und Weise in einem Medium darzustellen ist nicht ein Videospiel-exklusives Problem. In Videospielen wird dies allerdings verstärkt, da sie traditionell eher von jüngeren Menschen konsumiert werden. Mit dem Reifen des jungen Mediums und der Industrie als Gesamtes, sollte aber früher oder später ein Weg gefunden werden um auch dieses Thema darzustellen, ohne das Spieler kollektiv die Augen rollen oder in sich hinein kichern müssen. Betrachten wir nämlich Filme als Medium. Ebenso wie in Videospielen, ist auch Sex in Filmen nicht realistisch. Aber das muss es auch nicht sein, denn das Medium Film hat über die Jahre eine Bildsprache entwickelt, die unsere Erwartungshaltung von realistischem Sex austrickst und auf eine abstrakte Art und Weise den Inhalt wiedergibt ohne explizit zu sein.

Ein Videospiel, dass ich kürzlich entdeckt habe ist Just Feel. Es ist ein Projekt von 7 Studenten, die die Thematik von Sex auf eine Quintessenz abstrahiert haben. Hier ist die Spielwelt, in der man sich bewegt ein weiblicher Körper. Der Spieler steuert eine Hand, die bestimmte Zonen auf dem Körper streichen muss um sie zu „aktivieren“. Als Feedback wird der Spieler mit Vibration des Controllers belohnt. Natürlich ist diese Darstellung von Sex schwierig mit der von Mass Effect zu vergleichen, da der Hauptfokus von Mass Effect nicht auf dem Sex selbst liegt. Allerdings lehrt uns Just Feel etwas über den Vorteil von Abstraktion gegenüber Realität. Das abstrakte Gameplay in Just Feel gibt dem Spieler nämlich ein weit intimeres Feedback mit der Spielwelt als es Mass Effect kann. Sex wird in Just Feel nämlich nicht als Gameplay-Belohnung oder amüsierendes Mittel explizit gezeigt, sondern es versucht den Spieler die körperliche Spannung und Intimität als Teil von Sex fühlen zu lassen.

Große Spiele wie Mass Effect streben stets nach Realismus und glaubwürdigen Charakteren und Beziehungen. Solche Spiele laufen aber Gefahr sich von dem Realismus gefangen halten zu lassen. Videospiele haben es nicht nötig alle Facetten menschlicher Beziehungen realistisch darzustellen. Sie haben aber die Möglichkeit intime Momente in abstrakter Form zu zeigen und den Spieler teilhaben zu lassen, sodass der Effekt auf den Spieler größer ist als es mit visuell expliziten Realismus jemals möglich wäre. Realismus und Abstraktion sind also Werkzeuge für Videospiele um eine Geschichte zu erzählen. Es muss sich dabei nicht für eine Seite entschieden werden, sondern beiden können gezielt eingesetzt werden um eine Sprache zu finden, die Spieler verstehen und fühlen können.

Wie diese Sprache letztlich aussieht, weiß ich nicht. Es ist aber nötig zu erkennen, dass Realismus in Videospielen auch seine Grenzen hat. Ich hoffe für die Zukunft, dass unter anderem Bioware aus dem Feedback seiner Spieler lernt und menschliche Beziehungen auch in ihren intimsten Momenten glaubhaft zeigen kann. Nur dann können Videospiele als Träger einer glaubhaften und erwachsenen Geschichte weiter wachsen.

Eine Zusammenfassung von diesem Text mit visueller Untermalung von Just Feel, findet ihr auf meinem YouTube Kanal:

Downloadlink Just Feel:

https://amelieby.itch.io/just-feel