No Man’s Sky NEXT: Die unendliche Leere des Alls

Vor kurzem war ich für ein paar Tage zum ersten Mal in der wunderschönen Hauptstadt tschechiens, Prag. Die Stadt hat mich mit seiner Kultur und Geschichte schon lange verführt, wodurch ich während meiner Urlaubsvorplanung natürlich Schmetterlinge im Bauch hatte. Das Museum des Kommunismus musste ich sehen, diverse original tschechische Absinthe verkosten und typische Touristenplätze wie die Karlsbrücke und die Prager Burg sind selbstverständlich ebenso Pflicht für jeden Prager Ersttouristen. Das einzige Problem war, ich hatte nur etwas mehr als 72 Stunden in diesem Kurzurlaub. Viel zu wenig Zeit um alles zu erleben und sich auf die Atmosphäre der Stadt einlassen zu können. Auf der einen Seite möchte man nämlich einen strikten Plan folgen und Touren mitmachen, Türme besteigen, Museen besichtigen oder auf Konzerte gehen. Auf der anderen Seite ist es aber auch ein Urlaub, in dem man Verantwortungen, Pläne und Regeln einfach mal beiseite schieben möchte um das Leben schlicht erleben zu können. Es steht Planung gegenüber der Spontanität. Meine jugendliche Leichtsinnigkeit gegen der im Alter gewachsenen Vorsicht. Wie erlebe ich eine neue Stadt in kurzer Zeit am effektivsten? Durch kuratierte, geplante Aktivitäten? Oder durch spontan auftauchende, persönliche Momente? Ausgerechnet das kürzlich erschienene Update zu No Man’s Sky hat mich wieder zu meinem Kurzurlaub in Prag zurückgebracht.

No Man’s Sky ist ein umstrittenes Spiel. Versprechungen wurden gebrochen, Erwartungen blieben unerfüllt und die Videospielgemeinschaft zeigte sich in all dem Drama von seiner abscheulichsten Seite. Dennoch polarisiert No Man’s Sky und sticht in der Videospiellandschaft nicht nur aufgrund seiner vergangenen Negativschlagzeilen heraus. Denn es wirft ganz unbewusst die Frage auf was ein Spiel überhaupt interessant macht. Kuratierte, geplante Aktivitäten oder spontan auftauchende, persönliche Momente?

Die Stärken und Schwächen von No Man’s Sky

Zunächst ist es wichtig die Stärken und Schwächen von No Man’s Sky zu definieren. Zunächst in seiner 1.0 Version und später mit dem kürzlich erschienenen NMS:NEXT Update. Die 1.0 Version ist sehr spannend zu betrachten, denn es war bei aller Liebe zu dem Spiel eine leere Hülle mit vielversprechenden Ansätzen, die nie zu etwas gewachsen sind. Und doch habe ich 20 Stunden in dieser leeren Hülle verbracht, die ich nicht bereue. Das Konzept ist einfach faszinierend. Eine de facto unendlich riesige Spielwelt bringt die Fantasie in die Gänge und erweckt im Spieler einen Entdeckerdrang. Man will sehen wie breit und tief die Unendlichkeit wirklich sein kann. Hier liegt die Stärke in No Man’s Sky. Nur noch ein Sonnensystem mehr erkunden. Es braucht nur 10 Minuten zu dauern um sich einen Eindruck von einer neuen Welt schaffen zu können und seinen Entdeckerdrang kurz zu befriedigen. Von eisigen mit Blizzards bedeckten Planeten in der einen Minute hin zu Pilzbewachsenen und mit Säure beträufelten Umgebungen in der nächsten. Es kann eine fast schon magischer Trip sein, die Unendlichkeit eines Programmes zu erkunden. Man kann sich treiben lassen und entspannen. Diese Stärke führt aber auch zur größten Schwäche von No Man’s Sky. Die Unendlichkeit kann sehr monoton sein.

Während meines Kurzurlaubs in Prag ließ ich mich für große Teile ebenso treiben. Ich hatte ein vages Ziel vor Augen und lief über Umwege dorthin und saugte auf dem Weg so viele Eindrücke wie möglich auf oder verlor mich in Seitengassen abseits der Hauptstraßen. No Man’s Sky 1.0 zwingt den Spieler durch sein karges, unfertiges Design die Welt auf diese Weise zu erkunden. Das Ziel ist die Mitte der Galaxie, wie man dort hinkommt ist aber jedem selbst überlassen. Das führt aber dazu, dass No Man’s Sky 1.0 zu wenig Abwechslung im Moment-to-Moment Gameplay bietet. Wenn ich durch Prag nur laufen dürfte, wäre das eine Zeit lang sehr schön. Letztendlich möchte ich aber doch etwas mehr erleben. Kuratierte Erfahrungen und konkrete Ziele fehlten, sodass Spieler sich nicht nur (passenderweise zu den Weiten des Alls) einsam und verloren fühlten, sondern ihnen gleich gänzlich die Motivation am weitergehen geraubt wurde.

Genau hier kommt das Update No Man’s Sky NEXT ins Spiel. Nicht nur macht dieses Update gebrochene Versprechungen wieder gut, es gibt Spielern mehr Aktivitäten in der Spielwelt. Plötzlich hatte ich nicht nur die Karlsbrücke als Ziel, sondern mein virtueller Reiseleiter hat mir eine Vielzahl von Restaurants, Museen und Konzerten vorgeschlagen, die ich doch mal ausprobieren solle. Es ist eine Verbesserung, keinen Zweifel. Leider sind alle Vorschläge eher mittelmäßig wenn man sie mit Konkurrenten vergleicht. Für mich funktioniert No Man’s Sky NEXT aber aus einem ganz anderen Grund nicht komplett. Mir fehlt womöglich ein gutes Stück Fantasie.

Fantasie als Katalysator für Spaß

Wenn ich positive Spielberichte zu No Man’s Sky lese, arten diese oftmals in Beschreibungen ganzer Szenarien aus. Mir selbst ist gestern zusammen mit meinem Bruder folgendes passiert: Gestrandet, ohne Treibstoff auf einem radioaktiven Planeten waren wir umzingelt von dinosaurierartigen Tieren und giftspuckenden Pflanzen. Wir mussten uns durch alle Widrigkeiten schlagen und lange genug überleben um neuen Treibstoff herzustellen. Nachdem wir das mit Müh und Not gemeistert haben, flogen wir zum nächsten Planeten, nur um von einem dichten Jungle und Monsoon-artigen Regenfällen begrüßt zu werden. Auf Papier klingt das fantastisch! Die Realität war aber weit mundäner. Flora und Fauna haben was das Gameplay betrifft kaum eine Auswirkung auf den Spieler. Die Radioaktivität des Planeten ist auf den Normalen Schwierigkeitsgrad eher ein störender Beieffekt, als eine große Herausforderung. Und die Herstellung des Treibstoffs war in 10 weniger als 10 Minuten erledigt. Die Belohnung dafür war der nächste schöne Jungle Planet, der zwar wunderschön war, meinem Charakter aber kaum etwas bot. Wir bauten eine kleine Hütte und machten diesen Planeten zu unserer ersten Basis, wurden dann aber gezwungen weiter zu ziehen, da wir Ressourcen benötigten, die es hier nicht gab. Das Spiel gab uns alle Werkzeuge um diese Fantasie zu spielen, ich habe aber nicht gefühlt als hätte ich etwas erlebt. Denn nichts hat sich verändert. 30 Minuten später war dieses kleine Abenteuer vergessen und wir kämpften uns von Sonnensystem zu Sonnensystem auf der Suche nach einem interessanten Planeten mit wenigstens einem Hauch von Geschichte und Kultur. Vergebens…Denn No Man’s Sky ist ein Spiel, welches Fantasie benötigt.

Stellen wir uns vor morgen wäre unser 8. Geburtstag. Unsere Eltern planen für uns und bis zu 3 unserer besten Freunde eine Geburtstagsparty mit Astronautenthema. Jetzt gibt es drei verschiedene Varianten, wie diese Party organisiert werden kann:

  1. Unsere Eltern stecken uns in Astronautenkostüme und führen uns durch ein volles Programm. Wir bauen unsere eigene Rakete aus Pappe, wir spielen Cowboy und Indianer (oder Astronauten und Aliens) im umdekorierten, mit Sternen gefüllten Keller und essen „echtes“ Astronautennahrung. Der ganze Tag ist individuell auf unsere Astronautenfantasien zugeschneidert. Unsere Eltern haben an alles gedacht und geben ihr Bestes uns zu beschäftigen.
  2. Unsere Eltern haben den Keller dekoriert und „echtes“ Astronautenahrung hingestellt. Ein paar Spielzeuge und Videospiele liegen griffbereit und wir dürfen den ganzen Abend alles machen was wir wollen. Die Spielzeuge sind etwas klebrig und bewegen sich nicht so ganz, wie sie es sollten, aber es ist gut genug! Wir sind auf uns selbst angewiesen, denn unsere Eltern sind ehrlicherweise etwas nachlässig.
  3. Unsere Eltern haben eine Piratenflagge aufgehängt und gesagt: „Ihr seid jetzt Piraten. Viel Spaß und bis in 3 Monaten wenn ich euch ein paar neue Spielzeuge vorbei bringe.“ Unsere Eltern sind plötzlich Sea of Thieves.

Keine dieser Partys ist besser als die andere. Es kommt ganz darauf an, was man möchte. Manche Spieler wollen eher alleine gelassen werden, andere wollen die Welt gezeigt bekommen. No Man’s Sky fällt deutlich in die zweite Kategorie. Alles Nötige für die Flucht aus der Realität ist da. Den Spaß generieren wir uns aber selbst. Es kostet nur ein ganzes Stück mentale Eigeninitiative. Denn ohne Fantasie spielen wir nur in einem dekorierten Keller. Niemand zeigt uns was es bedeutet ein Astronaut zu sein. Und egal was unsere Eltern gesagt haben, es ist einfach nur Nudelsalat und nicht Weltraumnudelsalat. Ob das ein gravierendes Problem ist oder ob sich ein einfacher Nudelsalat doch tolerieren lässt, muss jeder für sich selbst entscheiden. Für mich hatte es aber zur Folge, dass mein oben beschriebenes Abenteuer sich schlicht leer und konsequenzenlos anfühlte.

Was für ein Typ bin ich?

Es gab Momente in denen auch ich mich über die leeren Versprechungen von No Man’s Sky 1.0 aufgeregt habe. Ich wollte das Spiel schnell wieder in die Ecke schmeißen. Ich konnte nicht verstehen wie manche Spieler Stunden über Stunden in einer solch leeren Welt verbracht haben. Man machte doch gar nichts! Man stand nur in einem flüchtig dekorierten Keller. Ich möchte die Schwächen von No Man’s Sky wirklich nicht verteidigen mit einer Aussage wie „Mit Freunden macht es Spaß!“ oder „Man sucht sich seinen eigenen Spaß!“. Man muss sich nur bewusst sein von der Art des Gameplays, welches einem geboten wird. Die kuratierten Momente gibt es nahezu gar nicht, man muss sich treiben lassen und einzelne Momente lernen wert zu schätzen.

Bevor man an ein Spiel herantritt sollte man sich also vielleicht tatsächlich einmal überlegen wie man Urlaub macht oder was für eine Art Kindergeburtstag man sich wünschen würde? Brauche ich viele Spielregeln, Aktivitäten und Abwechslung? Oder reicht mit eine vage Idee und Atmosphäre, sodass ich selbst Lücken mit auffüllen kann. Oder benötige ich einen guten Mix aus beiden Extremen?

Mein Pragurlaub war übrigens fantastisch. Ich habe Bars entdeckt abseits der großen Touristengegenden in denen ich Einheimische kennen lernen durfte, die den ganzen Urlaub noch interessanter gemacht haben. Aber auch die Prager Burg habe ich sehen können und mich ebenso in den Touristentrubel der Karlsbrücke werfen können. Im Gesamten war es also ein Mix aus vorgeplanten, touristischen Aktivitäten und sich spontan entwickelnden Momenten.

Meine bisher 15 stündiger Kurzurlaub in No Man’s Sky NEXT hat mir aber zu wenige Sehenswürdigkeiten. Die vorhandenen Spielzeuge sind in Ordnung, die Präsentation fantastisch aber verglichen zu Genrekollegen wie Terraria, Starbound oder Subnautica verlässt sich die Moment-to-Moment Action zu sehr auf die Fantasie des Spielers. Die unendliche Spielwelt neigt leider noch immer zu häufig dazu schlicht uninteressant zu sein. Natürlich kann nicht jeder Planet ein Paradies sein, aber wenn ich in 15 Stunden Spielzeit nur 1-2 Planeten finde auf denen ich mehr als 5 Minuten zeit verbringen will, ist das eine schlechte Quote. Vielleicht fehlt mir auch einfach ein Stück Fantasie. Vielleicht bin ich inzwischen zu abgestumpft? Denn der Keller den Hello Games dekoriert hat ist verdammt cool! Ich kann mich nur nicht darin verlieren. Langeweile nimmt die Überhand auch wenn ich mich anstrenge das Gute zu sehen.

Würde ich die Erfahrung weiterempfehlen? Wahrscheinlich nicht. Würde ich No Man’s Sky als ein gutes Spiel betiteln? Auf keinen Fall. Bereue ich den Vollpreiskauf des Spiels? Nicht wirklich. Es ist ein faszinierendes Projekt mit wahnsinnig viel Potential und ich werde sicherlich noch ein paar Stunden mehr die Tiefen des Alls erkunden. Eine Revolution oder eine 180° Drehung ist No Man’s Sky Next im Vergleich zur 1.0 Version aber noch immer nicht.

 

 

Von künstlerischen Visionen und Erwartungen der Spieler

Das Leben ist voller Enttäuschungen. Die Realität schleicht sich manchmal an und schlägt dir ins Gesicht: Mal stärker, mal schwächer. Das Einzige was übrig bleibt ist seine Erwartungen entsprechend anzupassen und zu hoffen, dass der nächste Schlag weniger weh tut. Jemand hat deinen Geburtstag vergessen, es regnet obwohl du Grillen wolltest, du bekamst eine schlechte Note, obwohl du gelernt hattest. No Mans Sky ist nicht der neue Heiland aller Videospiele, der dir versprochen wurde, Half-Life 3 ist immernoch nicht erschienen und das neue Zelda hat DLC, obwohl ein Zelda noch nie DLC hatte! Alles wahnsinnig tragische Momente in einem Leben. Aber im Ernst: Warum gibt es Online soviele Shitstorms wenn es um Videospiele geht? Warum ist die Enttäuschung so riesig? Es sind immerhin „nur“ Spiele. Ich denke die Antwort liegt irgendwo in der Kommunikation zwischen Entwickler und Spieler.

Die Vision der Entwickler

Die Vision eines Künstlers ist seine Perspektive und seine Sprache innerhalb seines Werkes. Es sind die Farben und Impressionen, die er benutzt, es sind die Töne und die Musik die er spielt und es sind die Wörter und Charaktere, die er erschafft um eine Geschichte zu erzählen. Ein Künstler entwickelt so mit der Zeit seine künstlerische Identität. So wie er z.B. seinen Kleidungsstil entdeckt hat oder er mit einem Akzent spricht und dabei wild gestikuliert, werden seine Werke ein Ausdruck seiner Identität, die von allen Facetten seines Selbst Gebrauch machen. Die Werke von M.C. Escher drehen sich um Präzision, Muster, Symmetrie, Ordnung, Mathematik und deren Kraft unsere Wahrnehmung zu manipulieren. In Videospielen verhält es sich ähnlich. Ein Entwicklerstudio muss seine Vision und seine Stimme finden, um durch seine Werke mit seinem Publikum sprechen zu können.

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Patrice Desilets der Kreativ-Direktor, der für die Entstehung der Assassins Creed Franchise verantwortlich war, sprach über genau diesen Prozess bereits in 2009 in einem Interview mit Kotaku. Für ihn ist vor allem wichtig eine Erfahrung für den Spieler zu kreieren. Ihm geht es darum die Spieler zu Assassinen einer bestimmten Ära werden zu lassen, anstelle diese nur zu kontrollieren. Seine künstlerische Vision wurde aber nicht von allen Fans wertgeschätzt. Er und sein Team erhielten viel Feedback zu Assassins Creed 1. Dies führte letztlich dazu, dass Assassins Creed 2 weit mehr Videospiel-typische Elemente aufwies und viel an der Struktur des Gameplays geschraubt wurde. Für Desilets waren das Kompromisse, die für sein Publikum, aber entgegen seiner Vision, eingeganen werden mussten. Interessant zu bemerken ist, dass Desilet Ubisoft nicht lange nach der Fertigstellung von Assassins Creed II: Brotherhood in 2010 verließ, um anschließend unter dem Mantel eines Studios von THQ das Projekt 1666: Amsterdam zu entwickeln. Dieses Projekt sollte einige Ähnlichkeiten mit der Assassins Creed Franchise aufweisen und Desilets beschrieb es selbst als ein Projekt in dem er all seine 15 jährige Erfahrung in der Videospielbranche gesteckt hat.

Im Januar 2013 wurde dieses Studio, samt aller Rechte zu 1666: Amsterdam allerdings verkauft – an Ubisoft. Nicht 4 Monate später musste Desilets Ubisoft erneut verlassen. Er beschrieb Ubisofts Vorgehen als unbegründet und wolle um seine Rechte und die seines Teams und deren Projekt kämpfen. Während natürlich nicht alle Details bekannt sind, lässt sich hier (auch angesichts der Entwicklung der Assassins Creed Serie und dessen Gameplay) zu mindestens vermuten, dass es einen Konflikt zwischen der Vision eines Entwicklers und der Realität gab. Jedenfalls hatte niemand zu M.C. Escher gesagt, dass er vielleicht ein paar Treppen weniger hätte zeichnen sollen.

Dieses Problem, wenn es überhaupt eines ist, sei aber mal dahin gestellt. Videospiele sind immerhin Produkte, die vor allem Spieler ansprechen sollen. Wenn man das mit der Filmindustrie vergleicht, hat selbst ein kreativer Visionär wie Stanley Kubrick diese Interaktion mit seinen Kunden verstanden und hat Filme wie 2001: A Space Odyssey oder The Shining auf Basis von frühen Publikumsreaktionen noch einmal überarbeitet. Eine pure künstlerische Vision scheint also kommerziell gesehen, keinen Sinn zu machen. Videospiele können sicher ein Sprachrohr für einen Künstler sein. Selbst habe ich schon diverse abstrakte Projekte gespielt, die zwar interessant zu erleben, aber selten spaßig zu spielen sind. Feedback von Spielern ist meiner Meinung nach also absolut nötig und kreative Entwickler müssen Kompromisse eingehen, auch wenn das ihrer ursprünglichen Vision schaden könnte. Dieser Prozess ist aber nicht ganz einfach.

Das Mitspracherecht der Spieler

Das Publikum entscheidet was es sehen will. Bei einem neuen Spiel erfahren die Spieler erst relativ spät in der Entwicklung Details über ein Videospiel. Entwicklerstudios von großen Produktionen nutzen diesen Moment um den Hype eines Spiels aufzubauen. Welche Details preisgegeben werden, sind taktisch durchgeplant um die Spekulationen und Diskussionen in den Fan-Foren aufblühen zu lassen. Einerseits ist das natürlich ein toller Marketing Trick um ein Produkt in aller Munde zu bekommen. Andererseits kann dies bei falscher Kommunikation auch nach Hinten losgehen. Das Team von Hello Games,  dem Entwicklerstudio von No Mans Skype, kann hier ein Lied von singen. Der Shitstorm, der sich hier nach Erscheinung des Spiels entladen hat, bestand aus Beleidigungen, Hasstiraden und vereinzelt sogar Morddrohungen. Es lässt sich nicht von der Hand weisen, dass Hello Games‘ Kommunikation vor Erscheinung des Spiels nicht ganz sauber und ehrlich war. Allerdings waren die Erwartungen der Spieler auch immens hoch. So hoch, das keine künstlerische Vision ihnen entsprechen haben könnte. Es ging den enttäuschten Fans nicht darum, dass sie 60 € in das falsche Produkt investiert haben. Immerhin konnten sich viele Käufer das Geld zurückerstatten lassen. Vielmehr wurde es zu einem Kreuzzug gegen Entwickler als ganzes,  dir den Hype missbrauchen und die Bedürfnisse der Spielergemeinde nicht angemessen respektieren. Viele Stimmen der Community sagten, dass No Mans Sky als Early Access Titel hätte erscheinen müssen. Dann wäre der Inhalt und die Qualität des Spiels eine leichtere Pille zu schlucken gewesen. Ob das die Lösung wäre, will ich hier nicht diskutieren. In Early-Access Titeln ist das Mitspracherecht der Spieler allerdings noch größer, was zu einem ganz neuen Satz von Problemen führen kann.

Das Schlüsselwort in Early-Access Titeln ist Early. Die Spiele erscheinen zum Verkauf in einem Beta-Status mit dem Versprechen, dass Käufer das Spiel maßgeblich mitgestalten können. Sie können Feedback und Kritiken direkt an den Entwickler liefern, Bugs und Fehler melden und Ideen und Vorschläge mit einbringen, die zu neuen Features im Spiel führen könnten. Besonders für kleinere Indie-Projekte kann dieses Feedback extrem wertvoll sein, zumal dieser Distributionsweg auch innovative und risikoreiche Konzepte finanzieren kann. Manche Entwickler können diesen Versprechen nachgehen. Andere wiederum leider nicht. Die Größe des Shitstorms passt sich entsprechend an. Interessant ist es aber zu sehen, was passiert wenn der Beta-Status schon den Erwartungen der Spieler entspricht und weitere Änderungen Fans eher abschreckt. Ein Beispiel für einen solchen Fall ist Darkest Dungeon von Entwicklerstudio Red Hook.

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Darkest Dungeon erschien 2015 als Early-Access Titel auf Steam und galt als Überraschungshit des Jahres. Mit seiner Lovecraft inspirierten Ästhetik, bot es furchterregende Monster und brutales Gameplay, dass die Hilflosigkeit und den Terror der Spielercharaktere wiederspiegeln sollte. Die Steam Reviews waren alle positiv und man schaute gespannt auf die weitere Entwicklung. Ich selbst habe das Spiel über 40 Stunden, nur im Early-Access Zustand, gespielt. Es fühlte sich schon im frühen Zustand sehr poliert an. Bis zu einem gewissen Update im Juli 2015. Das Entwicklerstudio fügte 2 große Features in das Gameplay ein: Leichen und Herzinfarkte. Leichen entstanden nachdem ein Feind im Kampf besiegt wurde. Sie dienten zum einen der Funktion die Formation und Taktik seines Teams überdenken zu müssen. Zum anderen erhöhte dieses Feature allerdings auch den Schwierigkeitsgrad auf eine (für viele Spieler) unfaire Art und Weise: Sie verlängerten den Kampf. In Darkest Dungeon hat jeder Charakter neben einer Anzeige für seinen körperlichen Gesundheitszustand auch eine mentale Gesundheit, die es zu managen gilt. Je länger der Kampf dauert, desto höher ist die Chance, dass die mentale Gesundheit eines Charakters in den Keller geht. Ist es einmal soweit, entwickeln sich nun mit dem neues Update nicht nur negative Debuffs, sondern ein Charakter hat auch die Chance einen Herzinfarkt zu erleiden. Nun konnte also nicht nur die Schwächung der körperlichen, sondern auch die der mentalen Gesundheit zum Tode führen. Für das Entwicklerstudio war das die gewollte Entwicklung. Denn sie sahen ein Spiel, mit einer furchterregenden Ästhetik. Das Spiel sollte sowohl in seiner Äußeren, als auch in seinem inneren Gameplay Design bestrafend, gnadenlos und manchmal auch etwas unfair sein. Für Red Hook waren die neuen Features ein wichtiger Faktor der zur breiteren Spielerfahrung beigetragen hat. Die Spieler allerdings waren unzufrieden und haben lautstark protestiert. Die vorher positiven Steam-Reviews rutschten schnell ins Negative und Foren waren voll mit Beschwerden und Beleidigungen, da das Spiel in den Augen mancher mit nur einem Patch ruiniert wurde. Eine Woche hat sich dieses Drama Online abgespielt, bevor Red Hooked sich mit einem interessanten Kompromiss meldete. Für sie waren die Features nämlich noch immer wichtig, gleichzeitig respektierten sie aber auch die Wünsche ihrer Fangemeinde. Ihre Lösung war es eine Gameplay Option in den Menüs hinzuzufügen, welche die unbeliebten Änderungen einfach ausschalten lässt. Dies erlaubte den unglücklichen Spielern immer noch auf ihre Weise Spaß zu haben, währenddem der Entwickler weiter mit dieser Mechanik experimentieren durfte. Mit dieser Lösung umging Red Hook der subtilen Pflicht Kompromisse in ihrer Vision eingehen zu müssen. Natürlich waren manche Spieler auch mit dieser Lösung nicht glücklich, aber man kann es eben nicht allen Recht machen.

Ein Shitstorm beginnt in unseren Herzen

Ein Videospiel, so wie jedes kreative Werk, steht also permanent im Konflikt zwischen der Vision der Erschaffers und den Erwartungen der Konsumenten. Der eine möchte eine Botschaft an ein Publikum bringen, die anderen wollen bedient werden. Wenn ein Preisschild an einem Werk hängt, ist es auch verständlich, dass bestimmte Erwartungen gesetzt werden. Am Beispiel von Darkest Dungeon, sieht man allerdings auch, dass es nicht nur mit dem Preis-Leistungsverhältnis zu tun hat, wenn ein Shitstorm beginnt. Der lautstarke Ausbruch der Fans entsteht auf einer viel emotionaleren Ebene. Sie fühlen sich nämlich betrogen um ein stilles Versprechen, das ihnen gemacht wurde. Das Versprechen Teil einer Vision zu sein und diese durch Unterstützung mitgestalten zu dürfen. Der Kunde ist nämlich König und Könige wollen größer gemalt werden, als sie wirklich sind. Ich möchte nicht bestreiten, dass die Bedürfnisse der Kunden unter Umständen nicht die leitgebende Vision sein sollten. Immerhin sollen Videospiele Spaß machen und Spaß ist sehr subjektiv. Feedback ist absolut notwendig um Verbesserungen zu finden. Aber vielleicht, könnten wir als Spielergemeinde lernen besser mit Enttäuschungen umzugehen.

Kritik und Feedback ist gut und hilft einem Künstler oder Entwickler seine Vision und seine Stimme zu raffinieren. Beleidigungen und Hasstiraden hingegen drücken ein Werk in eine Richtung, in die es vielleicht gar nie gehen wollte. Das Resultat ist für alle Beteiligten unbefriedigend. Bei der nächsten kollektiven Videospielenttäuschung sollten wir vielleicht alle einmal kurz durchatmen, nach innen reflektieren und genau über unsere Prioritäten nachdenken, bevor wir unsere Kritik öffentlich machen. Denn letzten Endes geht es „nur“ um ein Videospiel.

Die Wörter des Tages für Projekt August waren: largest, betrayal