Das Leben ist voller Enttäuschungen. Die Realität schleicht sich manchmal an und schlägt dir ins Gesicht: Mal stärker, mal schwächer. Das Einzige was übrig bleibt ist seine Erwartungen entsprechend anzupassen und zu hoffen, dass der nächste Schlag weniger weh tut. Jemand hat deinen Geburtstag vergessen, es regnet obwohl du Grillen wolltest, du bekamst eine schlechte Note, obwohl du gelernt hattest. No Mans Sky ist nicht der neue Heiland aller Videospiele, der dir versprochen wurde, Half-Life 3 ist immernoch nicht erschienen und das neue Zelda hat DLC, obwohl ein Zelda noch nie DLC hatte! Alles wahnsinnig tragische Momente in einem Leben. Aber im Ernst: Warum gibt es Online soviele Shitstorms wenn es um Videospiele geht? Warum ist die Enttäuschung so riesig? Es sind immerhin „nur“ Spiele. Ich denke die Antwort liegt irgendwo in der Kommunikation zwischen Entwickler und Spieler.
Die Vision der Entwickler
Die Vision eines Künstlers ist seine Perspektive und seine Sprache innerhalb seines Werkes. Es sind die Farben und Impressionen, die er benutzt, es sind die Töne und die Musik die er spielt und es sind die Wörter und Charaktere, die er erschafft um eine Geschichte zu erzählen. Ein Künstler entwickelt so mit der Zeit seine künstlerische Identität. So wie er z.B. seinen Kleidungsstil entdeckt hat oder er mit einem Akzent spricht und dabei wild gestikuliert, werden seine Werke ein Ausdruck seiner Identität, die von allen Facetten seines Selbst Gebrauch machen. Die Werke von M.C. Escher drehen sich um Präzision, Muster, Symmetrie, Ordnung, Mathematik und deren Kraft unsere Wahrnehmung zu manipulieren. In Videospielen verhält es sich ähnlich. Ein Entwicklerstudio muss seine Vision und seine Stimme finden, um durch seine Werke mit seinem Publikum sprechen zu können.
Patrice Desilets der Kreativ-Direktor, der für die Entstehung der Assassins Creed Franchise verantwortlich war, sprach über genau diesen Prozess bereits in 2009 in einem Interview mit Kotaku. Für ihn ist vor allem wichtig eine Erfahrung für den Spieler zu kreieren. Ihm geht es darum die Spieler zu Assassinen einer bestimmten Ära werden zu lassen, anstelle diese nur zu kontrollieren. Seine künstlerische Vision wurde aber nicht von allen Fans wertgeschätzt. Er und sein Team erhielten viel Feedback zu Assassins Creed 1. Dies führte letztlich dazu, dass Assassins Creed 2 weit mehr Videospiel-typische Elemente aufwies und viel an der Struktur des Gameplays geschraubt wurde. Für Desilets waren das Kompromisse, die für sein Publikum, aber entgegen seiner Vision, eingeganen werden mussten. Interessant zu bemerken ist, dass Desilet Ubisoft nicht lange nach der Fertigstellung von Assassins Creed II: Brotherhood in 2010 verließ, um anschließend unter dem Mantel eines Studios von THQ das Projekt 1666: Amsterdam zu entwickeln. Dieses Projekt sollte einige Ähnlichkeiten mit der Assassins Creed Franchise aufweisen und Desilets beschrieb es selbst als ein Projekt in dem er all seine 15 jährige Erfahrung in der Videospielbranche gesteckt hat.
Im Januar 2013 wurde dieses Studio, samt aller Rechte zu 1666: Amsterdam allerdings verkauft – an Ubisoft. Nicht 4 Monate später musste Desilets Ubisoft erneut verlassen. Er beschrieb Ubisofts Vorgehen als unbegründet und wolle um seine Rechte und die seines Teams und deren Projekt kämpfen. Während natürlich nicht alle Details bekannt sind, lässt sich hier (auch angesichts der Entwicklung der Assassins Creed Serie und dessen Gameplay) zu mindestens vermuten, dass es einen Konflikt zwischen der Vision eines Entwicklers und der Realität gab. Jedenfalls hatte niemand zu M.C. Escher gesagt, dass er vielleicht ein paar Treppen weniger hätte zeichnen sollen.
Dieses Problem, wenn es überhaupt eines ist, sei aber mal dahin gestellt. Videospiele sind immerhin Produkte, die vor allem Spieler ansprechen sollen. Wenn man das mit der Filmindustrie vergleicht, hat selbst ein kreativer Visionär wie Stanley Kubrick diese Interaktion mit seinen Kunden verstanden und hat Filme wie 2001: A Space Odyssey oder The Shining auf Basis von frühen Publikumsreaktionen noch einmal überarbeitet. Eine pure künstlerische Vision scheint also kommerziell gesehen, keinen Sinn zu machen. Videospiele können sicher ein Sprachrohr für einen Künstler sein. Selbst habe ich schon diverse abstrakte Projekte gespielt, die zwar interessant zu erleben, aber selten spaßig zu spielen sind. Feedback von Spielern ist meiner Meinung nach also absolut nötig und kreative Entwickler müssen Kompromisse eingehen, auch wenn das ihrer ursprünglichen Vision schaden könnte. Dieser Prozess ist aber nicht ganz einfach.
Das Mitspracherecht der Spieler
Das Publikum entscheidet was es sehen will. Bei einem neuen Spiel erfahren die Spieler erst relativ spät in der Entwicklung Details über ein Videospiel. Entwicklerstudios von großen Produktionen nutzen diesen Moment um den Hype eines Spiels aufzubauen. Welche Details preisgegeben werden, sind taktisch durchgeplant um die Spekulationen und Diskussionen in den Fan-Foren aufblühen zu lassen. Einerseits ist das natürlich ein toller Marketing Trick um ein Produkt in aller Munde zu bekommen. Andererseits kann dies bei falscher Kommunikation auch nach Hinten losgehen. Das Team von Hello Games, dem Entwicklerstudio von No Mans Skype, kann hier ein Lied von singen. Der Shitstorm, der sich hier nach Erscheinung des Spiels entladen hat, bestand aus Beleidigungen, Hasstiraden und vereinzelt sogar Morddrohungen. Es lässt sich nicht von der Hand weisen, dass Hello Games‘ Kommunikation vor Erscheinung des Spiels nicht ganz sauber und ehrlich war. Allerdings waren die Erwartungen der Spieler auch immens hoch. So hoch, das keine künstlerische Vision ihnen entsprechen haben könnte. Es ging den enttäuschten Fans nicht darum, dass sie 60 € in das falsche Produkt investiert haben. Immerhin konnten sich viele Käufer das Geld zurückerstatten lassen. Vielmehr wurde es zu einem Kreuzzug gegen Entwickler als ganzes, dir den Hype missbrauchen und die Bedürfnisse der Spielergemeinde nicht angemessen respektieren. Viele Stimmen der Community sagten, dass No Mans Sky als Early Access Titel hätte erscheinen müssen. Dann wäre der Inhalt und die Qualität des Spiels eine leichtere Pille zu schlucken gewesen. Ob das die Lösung wäre, will ich hier nicht diskutieren. In Early-Access Titeln ist das Mitspracherecht der Spieler allerdings noch größer, was zu einem ganz neuen Satz von Problemen führen kann.
Das Schlüsselwort in Early-Access Titeln ist Early. Die Spiele erscheinen zum Verkauf in einem Beta-Status mit dem Versprechen, dass Käufer das Spiel maßgeblich mitgestalten können. Sie können Feedback und Kritiken direkt an den Entwickler liefern, Bugs und Fehler melden und Ideen und Vorschläge mit einbringen, die zu neuen Features im Spiel führen könnten. Besonders für kleinere Indie-Projekte kann dieses Feedback extrem wertvoll sein, zumal dieser Distributionsweg auch innovative und risikoreiche Konzepte finanzieren kann. Manche Entwickler können diesen Versprechen nachgehen. Andere wiederum leider nicht. Die Größe des Shitstorms passt sich entsprechend an. Interessant ist es aber zu sehen, was passiert wenn der Beta-Status schon den Erwartungen der Spieler entspricht und weitere Änderungen Fans eher abschreckt. Ein Beispiel für einen solchen Fall ist Darkest Dungeon von Entwicklerstudio Red Hook.
Darkest Dungeon erschien 2015 als Early-Access Titel auf Steam und galt als Überraschungshit des Jahres. Mit seiner Lovecraft inspirierten Ästhetik, bot es furchterregende Monster und brutales Gameplay, dass die Hilflosigkeit und den Terror der Spielercharaktere wiederspiegeln sollte. Die Steam Reviews waren alle positiv und man schaute gespannt auf die weitere Entwicklung. Ich selbst habe das Spiel über 40 Stunden, nur im Early-Access Zustand, gespielt. Es fühlte sich schon im frühen Zustand sehr poliert an. Bis zu einem gewissen Update im Juli 2015. Das Entwicklerstudio fügte 2 große Features in das Gameplay ein: Leichen und Herzinfarkte. Leichen entstanden nachdem ein Feind im Kampf besiegt wurde. Sie dienten zum einen der Funktion die Formation und Taktik seines Teams überdenken zu müssen. Zum anderen erhöhte dieses Feature allerdings auch den Schwierigkeitsgrad auf eine (für viele Spieler) unfaire Art und Weise: Sie verlängerten den Kampf. In Darkest Dungeon hat jeder Charakter neben einer Anzeige für seinen körperlichen Gesundheitszustand auch eine mentale Gesundheit, die es zu managen gilt. Je länger der Kampf dauert, desto höher ist die Chance, dass die mentale Gesundheit eines Charakters in den Keller geht. Ist es einmal soweit, entwickeln sich nun mit dem neues Update nicht nur negative Debuffs, sondern ein Charakter hat auch die Chance einen Herzinfarkt zu erleiden. Nun konnte also nicht nur die Schwächung der körperlichen, sondern auch die der mentalen Gesundheit zum Tode führen. Für das Entwicklerstudio war das die gewollte Entwicklung. Denn sie sahen ein Spiel, mit einer furchterregenden Ästhetik. Das Spiel sollte sowohl in seiner Äußeren, als auch in seinem inneren Gameplay Design bestrafend, gnadenlos und manchmal auch etwas unfair sein. Für Red Hook waren die neuen Features ein wichtiger Faktor der zur breiteren Spielerfahrung beigetragen hat. Die Spieler allerdings waren unzufrieden und haben lautstark protestiert. Die vorher positiven Steam-Reviews rutschten schnell ins Negative und Foren waren voll mit Beschwerden und Beleidigungen, da das Spiel in den Augen mancher mit nur einem Patch ruiniert wurde. Eine Woche hat sich dieses Drama Online abgespielt, bevor Red Hooked sich mit einem interessanten Kompromiss meldete. Für sie waren die Features nämlich noch immer wichtig, gleichzeitig respektierten sie aber auch die Wünsche ihrer Fangemeinde. Ihre Lösung war es eine Gameplay Option in den Menüs hinzuzufügen, welche die unbeliebten Änderungen einfach ausschalten lässt. Dies erlaubte den unglücklichen Spielern immer noch auf ihre Weise Spaß zu haben, währenddem der Entwickler weiter mit dieser Mechanik experimentieren durfte. Mit dieser Lösung umging Red Hook der subtilen Pflicht Kompromisse in ihrer Vision eingehen zu müssen. Natürlich waren manche Spieler auch mit dieser Lösung nicht glücklich, aber man kann es eben nicht allen Recht machen.
Ein Shitstorm beginnt in unseren Herzen
Ein Videospiel, so wie jedes kreative Werk, steht also permanent im Konflikt zwischen der Vision der Erschaffers und den Erwartungen der Konsumenten. Der eine möchte eine Botschaft an ein Publikum bringen, die anderen wollen bedient werden. Wenn ein Preisschild an einem Werk hängt, ist es auch verständlich, dass bestimmte Erwartungen gesetzt werden. Am Beispiel von Darkest Dungeon, sieht man allerdings auch, dass es nicht nur mit dem Preis-Leistungsverhältnis zu tun hat, wenn ein Shitstorm beginnt. Der lautstarke Ausbruch der Fans entsteht auf einer viel emotionaleren Ebene. Sie fühlen sich nämlich betrogen um ein stilles Versprechen, das ihnen gemacht wurde. Das Versprechen Teil einer Vision zu sein und diese durch Unterstützung mitgestalten zu dürfen. Der Kunde ist nämlich König und Könige wollen größer gemalt werden, als sie wirklich sind. Ich möchte nicht bestreiten, dass die Bedürfnisse der Kunden unter Umständen nicht die leitgebende Vision sein sollten. Immerhin sollen Videospiele Spaß machen und Spaß ist sehr subjektiv. Feedback ist absolut notwendig um Verbesserungen zu finden. Aber vielleicht, könnten wir als Spielergemeinde lernen besser mit Enttäuschungen umzugehen.
Kritik und Feedback ist gut und hilft einem Künstler oder Entwickler seine Vision und seine Stimme zu raffinieren. Beleidigungen und Hasstiraden hingegen drücken ein Werk in eine Richtung, in die es vielleicht gar nie gehen wollte. Das Resultat ist für alle Beteiligten unbefriedigend. Bei der nächsten kollektiven Videospielenttäuschung sollten wir vielleicht alle einmal kurz durchatmen, nach innen reflektieren und genau über unsere Prioritäten nachdenken, bevor wir unsere Kritik öffentlich machen. Denn letzten Endes geht es „nur“ um ein Videospiel.
Die Wörter des Tages für Projekt August waren: largest, betrayal
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