Just Feel: Sex in Videospielen

Durch das kürzlich erschienene Mass Effect: Andromeda ist die Debatte um Sex und dessen Darstellung in Videospielen wieder etwas entfacht. Die Mass Effect Serie bzw. der Großteil der Spiele des Entwicklerstudios Bioware waren schon immer Videospiele, die großen Wert auf die Charakterisierung und Vermenschlichung ihrer virtuellen Figuren gelegt haben. Sie wollten erreichen, dass die Spieler eine emotionale Bindung mit ihren Charakteren aufbauen. Die persönliche Geschichte zwischen virtuellen Charakteren und dem Spieler führt dann am Ende oftmals zu körperlicher Intimität. Aber die Art und Weise wie Mass Effect und Videospiele im Allgemeinen diese Intimität behandeln, wirkt auf mich oft sehr gestelzt und steht stark im Kontrast zu der grandios ausgeführten restlichen Geschichte des jeweiligen Spieles. Aber warum ist das so?

Vorneweg gesagt, ich möchte mit diesem Text die Sex-Szenen diverser Spiele nicht herunterziehen. Sie stören mich auch nicht auf einem persönlichen Level. Im Gegenteil: Sie machen ja auch irgendwo Spaß und dienen oft als eine Gameplay-Belohnung für eine abgeschlossene Quest-Reihe. Wenn ich in Mass Effect also Sex mit einem Alien haben darf, weil ich während meiner Spielzeit immer die „richtigen“ Antworten gegeben habe ist das prima und amüsierend wenn die Szene dann in solch einem Beispiel endet:

Worauf ich mit diesem Text eher aufmerksam machen möchte, ist die Albernheit der Mechaniken und der visuellen Darstellung, die hinter Sex-Szenen in Videospielen stehen.

Videospiele sind wahnsinnig gut darin bestimmte Konzepte und Systeme in abstrakter Form darzustellen. Sie können dem Spieler eine andere Identität geben und ihn tiefer in die dargestellte Geschichte eintauchen lassen, als es in einem anderen Medium möglich wäre. Aber wenn es um Sex geht scheitern sie ständig. Meiner Meinung nach kommt dieses Scheitern unter anderem dadurch, dass Videospiele mit Sex explizit und realistisch sein wollen, anstatt das dahinterliegende Gefühl und eine gewisse Ästhetik zu abstrahieren.

Es gibt hierfür unzählige Beispiele: GTA, Fahrenheit, Heavy Rain, God of War, Duke Nukem, The Witcher usw. Alle Spiele stellen Sex in einer Art und Weise dar, die zwar amüsierend ist, allerdings Elemente wie Flirten, Verführung, Spannung, Klimax, Fürsorge und Intimität in einer Beziehung, vernachlässigen. Für diesen Text bleibe ich aber zunächst bei Mass Effect. Mass Effect im speziellen leidet nämlich unter dieser expliziten Darstellung, da die Motivationen der Charaktere und deren Beziehung zueinander weitestgehend sehr ausgereift ist und Schwarz/Weiß Denken vermeidet. Nur wenn es dann um Sex geht, verkommt diese Reife dann zu einer binären Dialog-Auswahl. Natürlich sind Zeit, Geld und Ressourcen oftmals der Grund für diese Vernachlässigung. Es ist schließlich viel simpler und für den durchschnittlichen Spieler interessanter, diesen Aufbau einer Beziehung hinter einer Loyalitäts-Mission zu verstecken, die unter anderem auch mindestens einen Kampf gegen böse Aliens beinhaltet.

Eine virtuelle Beziehung als realistisch darzustellen ist schwierig, das ist mir klar. Viele, vor allem japanische, Videospiele versuchen dem mit sogenannten „Skinship“ Spielen entgegenzuwirken. Ein bekanntes Beispiel für solche „Skinship“-Elemente, aus kürzlich vergangener Zeit, ist Fire Emblem: Fates. In Fire Emblem für den 3DS drückt der Spieler mit seinem Stylus auf dem Bildschirm um Kontakt mit seinem virtuellen Beziehungspartner zu bekommen. Ob diese Mechanik zum Ziel führt, ist für mich persönlich fraglich. Dennoch ist es ein Anfang eine Sprache zu finden, die Intimität in Videospielen ausdrücken kann. Im Vergleich zu Mass Effect besteht hier immerhin ein gewisser Grad von Betroffenheit und Integration des Spielers zu seiner virtuelle Identität.

Die Schwierigkeit Sex auf eine subtile Art und Weise in einem Medium darzustellen ist nicht ein Videospiel-exklusives Problem. In Videospielen wird dies allerdings verstärkt, da sie traditionell eher von jüngeren Menschen konsumiert werden. Mit dem Reifen des jungen Mediums und der Industrie als Gesamtes, sollte aber früher oder später ein Weg gefunden werden um auch dieses Thema darzustellen, ohne das Spieler kollektiv die Augen rollen oder in sich hinein kichern müssen. Betrachten wir nämlich Filme als Medium. Ebenso wie in Videospielen, ist auch Sex in Filmen nicht realistisch. Aber das muss es auch nicht sein, denn das Medium Film hat über die Jahre eine Bildsprache entwickelt, die unsere Erwartungshaltung von realistischem Sex austrickst und auf eine abstrakte Art und Weise den Inhalt wiedergibt ohne explizit zu sein.

Ein Videospiel, dass ich kürzlich entdeckt habe ist Just Feel. Es ist ein Projekt von 7 Studenten, die die Thematik von Sex auf eine Quintessenz abstrahiert haben. Hier ist die Spielwelt, in der man sich bewegt ein weiblicher Körper. Der Spieler steuert eine Hand, die bestimmte Zonen auf dem Körper streichen muss um sie zu „aktivieren“. Als Feedback wird der Spieler mit Vibration des Controllers belohnt. Natürlich ist diese Darstellung von Sex schwierig mit der von Mass Effect zu vergleichen, da der Hauptfokus von Mass Effect nicht auf dem Sex selbst liegt. Allerdings lehrt uns Just Feel etwas über den Vorteil von Abstraktion gegenüber Realität. Das abstrakte Gameplay in Just Feel gibt dem Spieler nämlich ein weit intimeres Feedback mit der Spielwelt als es Mass Effect kann. Sex wird in Just Feel nämlich nicht als Gameplay-Belohnung oder amüsierendes Mittel explizit gezeigt, sondern es versucht den Spieler die körperliche Spannung und Intimität als Teil von Sex fühlen zu lassen.

Große Spiele wie Mass Effect streben stets nach Realismus und glaubwürdigen Charakteren und Beziehungen. Solche Spiele laufen aber Gefahr sich von dem Realismus gefangen halten zu lassen. Videospiele haben es nicht nötig alle Facetten menschlicher Beziehungen realistisch darzustellen. Sie haben aber die Möglichkeit intime Momente in abstrakter Form zu zeigen und den Spieler teilhaben zu lassen, sodass der Effekt auf den Spieler größer ist als es mit visuell expliziten Realismus jemals möglich wäre. Realismus und Abstraktion sind also Werkzeuge für Videospiele um eine Geschichte zu erzählen. Es muss sich dabei nicht für eine Seite entschieden werden, sondern beiden können gezielt eingesetzt werden um eine Sprache zu finden, die Spieler verstehen und fühlen können.

Wie diese Sprache letztlich aussieht, weiß ich nicht. Es ist aber nötig zu erkennen, dass Realismus in Videospielen auch seine Grenzen hat. Ich hoffe für die Zukunft, dass unter anderem Bioware aus dem Feedback seiner Spieler lernt und menschliche Beziehungen auch in ihren intimsten Momenten glaubhaft zeigen kann. Nur dann können Videospiele als Träger einer glaubhaften und erwachsenen Geschichte weiter wachsen.

Eine Zusammenfassung von diesem Text mit visueller Untermalung von Just Feel, findet ihr auf meinem YouTube Kanal:

Downloadlink Just Feel:

https://amelieby.itch.io/just-feel