Erinnert ihr euch an die guten, alten Zeiten von Videospielen? Sie waren bockschwer und haben den Spieler für seine Fehler bestraft. Während das ein Design Überbleibsel aus Spielhallenzeiten war, hatten solche fordernden Spiele doch ihren Reiz. Wenn man sie ohne Probleme durchspielen hätte können, wären sie immerhin in knapp 1 Stunde bereits zu Ende gewesen. Was Ninja Gaiden, Contra, Mega Man und Co. so besonders gemacht hat, waren die kleinen Erfolge. Jeder Versuch ließ seine eigenen Fähigkeiten besser werden, bis man zum Schluss das Spiel von vorne bis hinten auswendig konnte. Zwar schwinden die Erinnerungen an diese Spiele mit der Zeit, was aber noch lange bleibt, ist das aufgebaute Muskelgedächtnis. Wer schon einmal den Nostalgiepfad gewandert ist wird wissen wovon ich spreche. Es ist überraschend wie viel hängen bleibt, wenn wir uns einmal in ein Spiel vertieft haben. Diese Erfahrung ist aber eine Sache der Vergangenheit. Vielleicht liegt es daran, dass ich inzwischen schon soviele Spiele gespielt habe und mein Muskelgedächtnis sich schon auf alle möglichen Genres ausgebreitet hat, aber ich vermisse neuerdings eine bedeutungsvolle Herausforderung in einem Spiel. Spiele sind für mehrere Arten von Spielern zugänglicher geworden. Während Anleitungen geschrumpft sind, wuchsen die Ingame Tutorials. Ultimativ ist das etwas gutes für das Medium als Ganzes. Aber der Schwierigkeitsgrad in einem Videospiel ist ein Design-Merkmal, der in vielen Spielen nur eine oberflächliche Rolle einnimmt.
Die Facetten einer Herausforderung
Eine der ersten Aktionen die wir in einem Videospiel machen ist das Auswählen eines Schwierigkeitsgrades. Er bestimmt wie viel Fähigkeiten wir als Spieler mitbringen müssen um das Spiel beenden zu können. Die Fähigkeiten, die vom Level des Schwierigkeitsgrads bestimmt werden, beschränken sich allerdings nicht nur auf den physischen Aspekt eines Spiels, wie zum Beispiel unsere Reaktionszeit. Sie kann sich auch auf nötige Strategien beziehen, von denen wir Gebrauch machen müssen. The Witcher 3 ist hierfür ein super Beispiel. Der leichteste Schwierigkeitsgrad schraubt die Stärke der Feinde sehr weit herunter, sodass der Spieler sich auf die Geschichte konzentrieren kann. Im mittleren Level, erhöht sich die Bedrohung der Feinde, während der Spieler immer noch diverse Unterstützungen, wie die vollständige Regeneration aller Ressourcen bei einer Rast, besitzt. Im höchsten Schwierigkeitsgrad wird die Bedrohung der Feinde durch erhöhten Schaden und Trefferpunkten, soweit erhöht, dass vom Spieler das Auseinandersetzen mit tiefer gehenden Mechaniken verlangt wird. Es müssen vor größeren Kämpfen Gifte und Tränke gebraut werden um erlittenen Schaden minimal und ausgeteilten Schaden maximal überleben zu können. Letzteres ist (bei interessant gestalteten Mechaniken) der ideale Weg um von Spielern mehr abzuverlangen und ihm gleichzeitig ein anderes Spielgefühl zu liefern.
Die Unterteilung in Schwierigkeitsgrade mit entsprechend angepasster Bedrohung der Feinde, ist allerdings nur ein Indikator für den Spieler um zu wissen worauf er sich einlässt. Es gibt logischerweise keine universal gültige Bezeichnung für einen Schwierigkeitsgrad. Verschiedene Spiele, benötigen verschiedene Fähigkeiten. Dadurch entstehen schier unendliche Möglichkeiten einen Spieler zu fordern: Die künstliche Intelligenz der Feinde könnte sehr gut sein in dem was sie macht oder sie könnte schummeln und Möglichkeiten haben, die der Spieler nicht hat. Bestimmte Gebiete sind abgegrenzt durch starke Feinde und der Spieler muss erst an schwächeren Feinden trainieren (grinden) bis er eine Chance hat. Stacheln in einem Jump’n’Run können den sofortigen Tod bedeuten und Platformen können getarnt oder ganz unsichtbar gemacht werden. Es gibt unzählige Beispiele für Arten einen Schwierigkeitsgrad zu erhöhen. Im allgemeinen wünschen sich Spieler ein faires Spiel. Das heißt ein Spiel, in dem die Feinde dieselben Regeln wie wir selbst befolgen. So können wir antizipieren und unsere Fähigkeiten entsprechend anpassen. Schummelnde Feinde zum Beispiel können schnell frustrierend werden. Die gebotene Herausforderung ist es dann nicht Wert zu meistern, denn unterm Strich fühlen sich unsere Lernerfahrungen nicht bedeutungsvoll an. Wenn wir nie einen Schritt voraus sein können, fühlen wir uns nie befriedigt durch unseren Leistungen.
Die Dark Souls Serie ist ein Beispiel für den Einsatz von fairer Schwierigkeit. Dark Souls hat nicht trotz, sondern wegen seinem Schwierigkeitsgrad, eine immense Popularität in der Spielergemeinde erlangt. Es wird oft als eine der schwierigsten Serien der modernen Videospielgeschichte genannt. Aber dem kann ich nicht zustimmen. Es ist richtig, dass Dark Souls seine Popularität in einem Klima von Tutorial Übersättigung verdient hat. So viele Spiele der Zeit haben den Spieler permanent an der Hand gehalten und erklärten ihm jede Mechanik ins tiefste Detail. Dark Souls bot dann eine frische Alternative. Es ist eine Serie, die davon lebt möglichst vage und bestrafend zu sein. Fehler des Spielers werden nicht vergeben, sondern enden schnell in einer Niederlage.
Trotzdem ist Dark Souls stets fair und durchschaubar. Feinde stehen immer am selben Ort, sie folgen immer denselben Angriffsmustern und sie gehorchen demselben Regelsatz wie wir. Kämpfen wir an einer Schlucht, laufen wir Gefahr in der Hitze des Gefechts herunter zu fallen – unsere Feinde aber auch. Mit diesem Wissen, lässt sich das Spiel entsprechend manipulieren und meistern. Das soll nicht heißen, dass Dark Souls einfach ist. Das ist es nicht, wie meiner hunderten Tode in der Serie bestätigen. Jeder Tod lehrt dem Spieler aber sehr viel über die bevorstehende Herausforderung. Wenn wir wissen was auf uns zukommt, ist alles halb so wild. Die Schwierigkeit sinkt mit zunehmder Zeit enorm. Dark Souls ist schwer zu beginnen, aber (relativ) einfach zu meistern. Das ist gut für was Dark Souls erreichen will und ich bin ein großer Fan der Serie dafür. Aber die Rolle des Schwierigkeitsgrades verliert schnell an Bedeutung.
Letztlich kommt es beim Schwierigkeitsgrad nämlich auf das Gefühl an, welches beim Spieler erzeugt wird. Die anfängliche Härte von Dark Souls passt perfekt in die triste, depressive Welt von Dark Souls. Die Welt erzeugt im Spieler eine Hoffnungslosigkeit, die durch den anfänglich hohen Schwierigkeitsgrad unterstrichen wird. Später jedoch, wenn wir die Logik der Welt durchschaut haben, verlieren wir dieses Gefühl. Die mysteriöse und tödliche Welt, wird durch unser Muskelgedächtnis zerstört und die dahinterliegende Thematik ein Stück weit ruiniert. An dieser Stelle kommen die unfairen Schwierigkeiten ins Spiel. Wenn es nämlich darum geht eine Spannung zu erzeugen, darf sich keine Routine einschleichen. Alle Mittel sind Recht um ein gewisses Gefühl herauszukitzeln. Würde ein Horror-Spiel wie Amnesia, Outlast oder Alien:Isolation funktionieren wenn das Spiel fair wäre? Ich denke nicht. Die Feinde müssen schummeln, wir müssen uns unterlegen fühlen und jede Begegnung fürchten. Auch basieren nicht umsonst ganze Jump’n’Run Subgenres auf unfairen Design. I Wanna Be The Guy, Super Meat Boy oder Shio um nur ein paar Beispiele zu nennen. Warum diese Spiele funktionieren, trotz teilweise unfairem Leveldesign und Trial and Error Gameplay, ist weil diese Spiele um das Unfaire herum designt wurden. Klar ist das Gameplay immens schwer, aber großzügige Checkpoints und kurze Zeiten zum Neustart eines Levels helfen uns damit klar zu kommen und die Spannung und die Befriedigung eines immensen Schwierigkeitsgrades genießen zu können.
Die Bindung zum Spiel
Unfaire Herausforderungen können also im richtigen Kontext ein ganz neues Spielgefühl liefern. Es ist also nicht verwunderlich, dass manche Videospiele versuchen die ultimative Form von Ungerechtigkeit in ein Design zu verpacken. Denn was wäre schlimmer für einen Spieler als seinen gesamten Fortschritt zu verlieren? Immerhin funktioniert das populäre Genre der Rogue-likes genau auf diesem Prinzip.
Die Ursprünge dieses radikalen Konzepts gehen sogar bis 1986 zurück Auch Hideo Kojima selbst philosophierte in einem Interview mit Gamespot, über ein Spiel das sich selbst zerstören würde, wenn der Game Over Bildschirm gezeigt wird. Spiele wie One Life oder Upsilon Circuit haben ähnliches versucht, sind aber gescheitert. Denn wie sich gestern mit der Erscheinung von Hellblade erneut gezeigt hat, ist die Spielergemeinde sehr empfindlich was ihren Spielfortschritt angeht. In so manchen Foren war selbst die Sprache von Konsumentenunfreundlichem Verhalten des Entwicklers. Wem Hellblade kein Begriff ist, sollte das umghend ändern.
Hellblade ist ein überraschend mitfühlendes und grafisch wünderschönes Action-Abenteur des Studios Ninja Theroy. Das Spiel behandelt Thematiken wie mentale Gesundheit, Trauma und Verlust auf einer (nicht nur für dieses Medium) selten gesehenen Art und Weise. Der Spieler taucht tief in die Psyche der verfluchten Heldin Senua und lernt die Geschichte aus Senuas von Halluzinationen und Ängsten geplagten Perspektive. Es gibt so viel in Hellblade worüber es sich zu sprechen lohnt. Das aber ausgerechnet ein Teil des Schwierigkeitsgrades für negative Schlagzeilen gesorgt hat, hätte ich nicht erwartet. Es gibt nämlich so viel über dieses Spiel zu sagen, das der Online Shitstorm mich etwas an der Videospiel-Community zweifeln lässt.
Früh im Spiel erhält der Spieler nämlich folgende Warnung:
„The dark rot will grow each time you fail. If the rot reaches Senua’s head, her quest is over. And all progress will be lost.“
Als ich diese Warnung sah, wurde mir wie auch vielen anderen Spielern etwas schlecht. Was wenn ich nach 6 Stunden mein Limit an erlaubten Toden erreicht habe und ich von Neuem anfangen muss? Hab ich die Zeit dafür? Will ich die Zeit dafür haben? Mich selbst plagten Ängste über Verlust. Mein erster Tod im Spiel passierte nicht einmal nach einer Stunde im Spiel. Die schwarze Dunkelheit, die Senuas Arm überwuchert wuchs weiter und erinnerte mich, dass meine Fehler schwerwiegende Konsequenzen haben werden. Ab jetzt zählte jeder Treffer. Der schwarze Fluch rückte immer weiter von Arm in Richtung Kopf. Die Spannung stieg bis zum Schluss.
Das Kampfsystem in Hellblade ist relativ simpel. Es gibt nicht viele verschiedene Arten von Kombos und auch keine riesige Menge an Gegnertypen. Dennoch führt jeder Schlag im Kampf eine Menge Gewicht mit sich. Senua taumelt nach einem erlittenen Treffer oder geht zu Boden. Ist sie zu verletzt, kann sie ihr Schwert nicht mehr richtig schwingen und muss Feinde auf Abstand halten, während die Stimmen in Senuas Kopf sich über ihre Schwäche lustig machen. Kämpfe sind trotz ihrer simplen Natur furchterregend. Der Tod kann in jeder Ecke lauern und ein Tod meiner Spielfigur, bringt den Tod meines Fortschritts als Spieler immer näher. In Momenten, in welchen Senua umzingelt wird oder einen schweren Treffer abbekommt, schlug also auch mein Herz höher als ich es sonst von einem Spiel gewohnt bin. Bosskämpfe in Hellblade sind an und für sich schon fordernd. Sie benötigen gute Reflexe, Ausdauer und eine starke Psyche. Denn jeder Schlag könnte das Ende für Senua bedeuten. Ein Tod lässt anschließend an Senuas Körper nachvollziehen.
Der Schlüssel zu dieser Mechanik ist, dass Hellblade nie verrät wieviele Tode man noch vor sich hat, bis zum Löschen des Spielstandes. Es könnten 10 sein oder 20 oder 30 oder noch viel mehr. Die Zahl wäre wichtig zu wissen, da Hellblade hier aber ein Geheimnis draus macht führt dazu das man als Spieler immer Angst vor dem Tod hat.
Das der Schwierigkeitsgrad in Hellblade standardmäßig „Auto“ heißt, sollte dem Spieler aber schon zu Beginn Hinweise darauf geben, dass hier vielleicht etwas getrickst wird und womöglich ein Netz gespannt wird, das uns im Notfall auffängt. Auch gibt es bereits diverse Berichte von Leuten, die die dahinterliegende Mechanik entziffert haben wollen. Was aber genau dahinter steckt, steht (noch) etwas im dunkeln. Mein persönlicher Tipp: Vergesst die Berichte und versucht nicht ein mögliches Geheimnis zu lüften, nur um mit dem Finger auf jemand zu zeigen. Der Schwierigkeitsgrad und die damit verbundene Mechanik in Hellblade erfüllt nämlich einen breiteren Zweck. Sie verbinden den Spieler mit der Hauptfigur auf einer tieferen, emotionalen Ebene. Der Schwierigkeitsgrad schraubt hier nicht nur die Schadenszahlen und Trefferpunkte in die Höhe, auch bringt er uns nicht dazu neue Taktiken oder Strategien zu wählen. Er nimmt eine für Hellblade viel wichtigere Rolle ein: Er dient als ein erzählerisches Mittel, welches die Angst vor dem Unbekannten und der Angst vor unseren eigenen Gedanken, perfekt untermalt.
Hellblade beweist, dass der Schwierigkeitsgrad eine wirklich bedeutende Rolle in einem Spiel einnehmen kann. Er muss nich fair sein, er darf sogar unfair sein wenn das einen Zweck erfüllt. Ich würde es sogar begrüßen, wenn Hellblade sich komplett von meinem Steam-Account gesperrt hätte bevor ich das Ende gesehen habe. Meine persönliche mentale Spannung war so essentiell zur Erfahrung des Spiels. Videospielentwickler sollen mit dem Medium auf kreative Art und Weise experimentieren. Der Schwierigkeitsgrad und die damit verbundenen Mechaniken sind nicht nur Werkzeuge, mit denen Entwickler uns ein perfektes Spiel zusammen schustern. Sie sind auch Pinsel, die ein für Interpretation und emotionaler Investition offenes Bild malen. Der Schwierigkeitsgrad ist unser Eintritt in die Welt eines Spiels und bestimmt wie wir mit ihr interagieren. Er bestimmt unsere Erwartungshaltung vor, unsere Vorgehensweise während und unsere Befriedigung nach einem Spiel. Kreative und bedeutungsvolle Anwendungen sollten von uns als Spieler belohnt werden auch wenn sie auf den ersten Blick unfair erscheinen.
Wer wissen will wie die Mechanik und der Schwierigkeitsgrad von Hellblade genau funktioniert sollte es selbst einmal Spielen und am besten nie herausfinden was passiert wenn man zu oft stirbt.
Die Wörter des Tages für Projekt August waren: joystick, memory
Beitragsbild: Jean-Michel Basquiat – Riding with Death
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